Rückblick Wintersemester 2022/3
Morgen beginnt die offizielle Vorlesungszeit für das Sommersemester 2023. Zeit, um noch einmal kurz innehalten und das letzte Semester im Rückblick anzusehen. Viel habe ich ja schon mittel der langen Wochen berichtet.
Das Wintersemester 2022/3 begann in der Hoffnung auf ein „normales“ Semester. So ganz ohne Notfallonlinelehre, richtig in Präsenz, der für den Typ meiner Hochschule geplante Ablauf. Die ersten Wochen war das auch so. Zwar hatten einige Umstellungsschwierigkeiten vom Online- auf den Präsenzunterricht, nicht nur die Studierenden. Aber ich war auch mal froh mit realen Menschen, hauptsächlich Studierende und Mitarbeitende, in Präsenz über einige Wochen zusammenarbeiten zu können.
Tja, und dann kam der Angriff auf die IT-Systeme der Hochschule, inzwischen bekannt unter dem Namen Cyberanfall.
Als Ende Oktober die Hochschule vom Rest des Internets getrennt wurde, da schienen mir erstaunlich viele hilflos. Zu sehr hatten diese sich daran gewöhnt, bequem vom heimischen Arbeitsplatz die Systeme der Hochschule zu nutzen. Immerhin funktionierte WebEx, da wohl datenschutzaugenzudrückend auf fremden Systemen betrieben, so dass eine erste Kommunikation möglich ist. Die Systeme der Hochschule funktionierten fast alle, nur eben nur innerhalb des Hochschulnetzes. Dafür mussten dann einige auf die Idee gebracht werden, auch mal auf den Campus zu kommen.
Ich fragte mich dann immer, wie ich mein Studium überhaupt abschließen konnte, so ohne Internet und all den Bequemlichkeiten. Wie viele Stunden habe ich in der Bibliothek verbracht? Wie häufig stand ich vor verschlossenen Türen, weil jemand krank war? Wie konnte ich mich bloß mit meinen Kommilitonen abstimmen und wie uns gegenseitig informieren, so ohne das Internet? Tja, liebe Leute, früher hat man einfach miteinander gesprochen und hat nicht alle Erfahrungen für sich behalten. Und man mag über den Bildungsdisneylandcampus sagen was man will, die Bibliothek ist recht gut gelungen.
So begleitete uns der Cyberanfall durch das Semester.
Für alle etwas schwieriger wurde es gegen Ende, weil das Prüfungssystem für niemanden zugreifbar war und so die Anmeldung zu den Prüfungen etwas komplexer (ungewohnter?) war als sonst. Und immerhin konnten seit etwa Ende November Mails von außen zugestellt und nach außen versendet werden. Das war aber auch die einzige Erleichterung für uns alle.
Projektmanagement (2. Semester)
Zu diesem Fach schrieb ich etwas auf einer separaten Seite. Bitte dort weiterlesen.
Softwaretechnik (3. Semester)
Wie auch im Fach „Projektmanagement“ wurden die Prüfungsbedingungen geändert, auf Anregung der Studierenden und meiner Kollegin, die eine Teilprüfung durchführt. Bisher musst man die Klausur bestehen und erst, wenn das der Fall war, wurde die bei der Klausur erreichte Note mit der Note der Teilprüfung gewichtet verrechnet. Die Teilprüfung besteht fast nur aus einem praktischen Teil, der die eher theoretisch angehauchte Veranstaltung „Softwaretechnik“ abrunden soll.
Die bisherige Regelung haben wir dahingehend geändert, dass es in jedem Teilfach eine bestimmte Anzahl an Punkten vergeben wird und die Note auf Basis der Gesamtpunkte berechnet wird.
Das hat sich nicht bewährt. Nach Aussagen der Kollegin waren die Studierenden bei ihr so fleißig, dass sie im Durchschnitt die Note 1,3 vergeben hat. Dafür haben die Studierenden im Fach „Softwaretechnik“ eher wenig getan. Sie können sich nun vielleicht praktisch mit Design Thinking durchwurschteln, wissen aber offensichtlich weniger über Softwarearchitekturen, Testen, Web-Systeme oder so kleine Dinge wie etwas über den Unterschied zwischen Parallelität und Nebenläufigkeit. So bleibt die Praxis ohne Theorie blind.
Natürlich gibt es Ausnahmen und auf die freue ich mich im kommenden Semester. Mit denen konnte ich während der Vorlesungen diskutieren, dank deren Selbst-Denken. Die meisten scheinen es sich einfach gemacht zu haben. Da wird man sehen, ob das sich auswirken wird. Im kommenden Semester kehre ich zur bisherigen Regelung zurück.
Projektstudie (4. Semester)
Hier waren 10 Studierende zu Beginn anwesend und wollten teilnehmen, eine Person überlegte es sich in den ersten Wochen anders. Diesmal waren die Themen nicht von mir gestellt. Eine Absolventin betreibt ein kleines Unternehmen und benötigte etwas konstruktive Beratung in Form eines Prototyps für ein etwas spezielles CRM-System. Ein Kollege aus einem anderen Studiengang wollte einen anderen Ansatz zum Controlling berechnet und ggf. visualisiert haben. Beides nicht zu schwere Themen, da gab es in der Vergangenheit wesentlich anspruchsvollere Aufgaben, Das CRM-System unterschied sich kaum zu einigen Inhalten einer Lehrveranstaltung aus dem 2. Semester. Das Thema mit dem Controlling bestand im Wesentlichen aus der angemessenen Abfolge von Grundrechenarten und etwas Fallunterscheidung.
Während die Product Owner sich im Laufe des Semesters einigermaßen in das jeweilige Thema eingearbeitet hatten, hatte ich bei vielen der anderen Studenten das Gefühl, sie suchten noch das Icon für die Entwicklungsumgebung. Das mag zu Beginn des Semesters noch üblich sein, sollte sich aber dann doch schnell ändern. Was es so gut wie nicht tat.
Ob das nun am Cyberanfall und seinen Auswirkungen lag, oder an etwas ganz anderem, die Ergebnisse zum Ende der Vorlesungszeit lagen weit hinter dem zurück, was bisher das Minimum war. Das lag nicht nur an fehlenden inhaltlichen Fähigkeiten. Selbst einfach Aufgabe, wie das rechtzeitige selbstständige Anmelden zu einer Teilprüfung haben zu viele nicht auf die Reihe bekommen.
Nun ja. Für kommende Woche haben 28 Studierende angegeben, an der Projektstudie teilnehmen zu wollen. Ich hoffe, diese bringen die notwendigen Basiskenntnisse mit, auch wenn die Klausur zu „Softwaretechnik“ nicht zu gut ausgefallen ist.
Seminar (6. Semester)
Wie üblich, mussten die Teilnehmer sich selbst zu bearbeitende Probleme suchen. Diesmal gab ich das Oberthema „IT-Systems for Healthcare“ vor. Die Herausforderung besteht, wie schon in den letzten Semestern, aus der inhaltlichen Komfortzone herauszukommen und in einem relativ neuen Gebiet wissenschaftliche Problemstellungen zu identifizieren und initial zu bearbeiten. Damit dient das Seminar der unmittelbaren Vorbereitung für die Thesis.
Im Unterschied zu früheren Semestern habe ich auf ein internes Peer-Review eines vorläufigen Standes der Papers verzichtet. Statt dessen mussten alle Studierende neben der Abschlusspräsentation zwei weitere Präsentationen durchführen: die erste sollte das zu bearbeitende Problem vorstellen, die zweite sollte zu einer vertieften inhaltlichen Diskussion führen. Ohne Benotung, aber mit Abzug auf die Gesamtnote, wenn die Präsentation fehlt.
Das recht vernünftig geklappt. Es gab Termine, bei denen ich fast nichts sagen musste, weil das die Studierenden übernahmen. Inklusive konstruktiver Kritik an den Kommilitonen. In diesem Sinne meine Lieblingsveranstaltung in diesem Semester.
Die schriftlichen Arbeiten fielen etwas ab, aber das tut dem mutmaßlichen Lernerfolg wenig Abbruch.
Projektstudie (7. Semester)
Eine der drei Gruppen wollte (und konnte) einen Monat früher beginnen, damit für diese mehr Zeit für die Abschlussarbeit blieb. So hatte diese Gruppe auch einen Monat weniger mit dem Cyberanfall zu kämpfen. Aber nicht deshalb hat diese Gruppe sehr erfolgreich gezeigt, was sie im Laufe ihres Studiums gelernt hatten. Und dank des Cyberanfalls haben diese einige bisher übersehene Fehler der weiterentwickelten Software gefunden, der Prüfungsanmeldung (schon mal für sich ein komplexer Vorgang) zur mündlichen Prüfung in einem Geschwisterstudiengang.
Eine der beiden anderen Gruppen, die regulär begonnen hatten, war mutmaßlich etwas sehr abgelenkt. Vermutlich hatte die Mitglieder eine andere Priorität und vernachlässigten das zu bearbeitende Thema dann doch recht umfangreich. Beinahe wie die Studierenden in der Projektstudie aus dem 4. Semester. Aus diversen Gründen arbeitete in diesem Semester eine studentische Hilfskraft (ebenfalls aus dem 4. Semester) an dem etwas komplizierten, aber wenig komplexen Thema. Dieser Student hat mehr Fehler gefunden, als die Gruppenmitglieder gemeinsam.
Die letzte Gruppe hatte ein Fraunhofer-Institut als Stakeholder und war durch den Cyberanfall am stärksten betroffen. Trotz einiger Schwächen hat es die Gruppe einigermaßen gemeistert, das Thema zu bearbeiten. Es ging um die Erstellung einer prototypischen Progressive Web-Application, auf Basis von Vanilla-JS.
So waren in diesem Semester fast alle Noten vertreten.
Kolloquium (7. Semester)
Nach einigen Jahren war ich dieses Semester auch mal wieder an der Reihe, das Kolloquium zu veranstalten. Dort sollen Studierende ihre Abschlussarbeit vorstellen. Zu Beginn der Arbeiten geht es um eine unbenotete (Pflicht-) Vorstellung des zu bearbeitenden Problems. Die Studierenden erhalten dabei Rückmeldung, was meistens die Qualität der Abschlussarbeit verbessert. Kurz vor oder nach der Abgabe handelt die dann benotete Präsentation um die erzielten Ergebnisse, wie auch um den Weg dorthin.
Die Veranstaltung habe ich gemeinsam mit einer Vertretungskollegin abgehalten, wobei ich die organisatorischen Aufgaben übernahm. Ab kommender Woche übernimmt es die Kollegin.
Die vorherigen Semester fand das Kolloquium rein online statt. Wohl auch aus Bequemlichkeit. Ein paar Mal habe ich als Zuhörer teilgenommen. Das waren eher ruhige Veranstaltungen, bei denen einer der Studierenden redete, nämlich wer auch immer präsentierte. Ansonsten redeten die Kollegen.
Wir haben das Kolloquium als Präsenzveranstaltung abgehalten. Ebenso wurde die Interpretation der Bewertungskriterien für die Abschlusspräsentation klarer kommuniziert. Und im Unterschied zu früheren Semestern habe ich eine einführende Präsentation gehalten, bei der ich die Besonderheiten des Kolloquiums erläuterte.
All das hat sich bewährt.
Wenn man so will, dann ist die Abschlussarbeit der Höhepunkt des Studiums. Das Kolloquium gibt den Studierenden die Möglichkeit diesen Höhepunkt, dessen Inhalt sie maßgeblich mitgestaltet haben, zu präsentieren. Jahrelang haben die Studierenden auf die Abschlussarbeit hinstudiert und nun haben sie die Gelegenheit, darüber zu sprechen.
In früheren Semestern war das Kolloquium eher eine Veranstaltung zum Abhaken. Dieses Mal waren die meisten Teilnehmer auch als Diskutanten aktiv. Und es wurden kritische Fragen gestellt, keine nach der Art des Nichtkrähenaugeaushackens. Wir als Veranstaltende mussten immer wieder die Diskussion aus Zeitgründen abbrechen, auch damit wir noch einige Rückfragen stellen konnten.
Zwar waren einige der Präsentierenden auch gegen Ende des Semester noch im alten Muster, wohl weil sie nicht regelmäßig teilgenommen hatten. Und endlich, nach vielen Jahren, gab es einige, die vernünftig darstellen konnten, wie ihre Arbeit mit Quellen ablief. Ich meine inhaltlich, nicht nur formal nach FettkeWebsterWatsonUndCo. Weniger Cargo Cult!
Beinahe wäre das Kolloquium meine diessemestrige Lieblingsveranstaltung geworden, aber im Vergleich zum grob ähnlich ablaufenden Seminar gab es hier dann zwar viel Licht, aber auch ziemlich dunklen Schatten.
Vielleicht ändert sich das ab kommender Woche.
Ausblick
Für mich beginnt die Vorlesungszeit übermorgen. Da ich in der Vergangenheit mehr Lehrveranstaltungen als normal abgehalten habe, trete ich dieses Semester etwas kürzer. Das Seminar veranstaltet dieses Semester jemand anderes. Sonst bleibt mein Portfolio gleich.
Der Cyberanfall wurde bisher nicht behoben. Es gab einige Ankündigungen, mehr nicht. Offenbar wissen viele Akteure (zu denen ich trotz Hilfeangebots nicht gehöre) nicht, wer was wann tut. Projektmanagement im Spiegeluniversum. So steht zu befürchten, dass es im laufenden Semester zu einigen überraschenden Änderungen der Situation kommen kann. Angefangen damit, dass demnächst neue Benutzerkennungen und Passworte vergeben werden, ein neues Identitätsmanagementsystem eingeführt wird.
Aber woanders läuft das wohl auch nicht anders ab und so wird einem nie langweilig, dank Selbstbeschäftigung.