Prof. Dr. Detlef Stern

Zwei lange Wochen vom 14.11.22, 21.11.22

Letztens schon wieder eine lange Woche ohne lange Woche. Heinrich macht sich Gedanken. Ich habe eine gute Ausrede: K1 war mit bisher unbekanntem Partner zu Besuch. Zugleich Abwechslung von der Käseglocke.

Ja, Käseglocke ist noch immer. Manche haben die zweite der sieben Phasen der Veränderung überwunden. Gefühlt die Hälfte nicht, egal welche Gruppe der Hochschulangehörigen. Dafür hat diese Gruppe eine neue Ausrede gefunden. War ja auch beinahe langweilig, immer diese Viren vorschieben zu müssen. Nun scheinen die pösen Häcker der Grund für den nächsten Notbetrieb zu sein, für das Nicht- oder Wenig-Arbeiten. Derweil kümmert sich die andere Hälfte darum, dass die Kernaufgabe einer Hochschule erhalten bleibt. Seit mehr als drei Jahren kein Notbetrieb, trotz neuen Standorts, inklusive Vorlesungen auf einer Baustelle, trotz einer Pandemie, trotz Cybercybervorfalls.

Während für die einen das Jammern auf verschiedensten Ebenen der Normalfall zu sein scheint, freue ich mich mit denen, die denken und handeln können. Das kann eine studentische Gruppe in einer Projektstudie sein, manche Teilnehmer meines Seminars, die eine oder der andere Hochschulmitarbeiterin, oder der Kollege, der sein Wissen nicht vollständig für sich behält.

Auch meine Routine hat sich geändert. Morgens auf dem Dienst-iPad mögliche Nachrichten via Webex prüfen. Dann zum Bildungsdisneyländcampus in die Käseglocke. Inhalt des USB-Sticks synchronisieren. Interne Mails prüfen und antworten. Lehrveranstaltungen durchführen. Persönlich klären, was persönlich geklärt werden sollte. USB-Stick synchronisieren. Ab ins Home-Office. USB-Stick synchronisieren. Webex prüfen. Tun, was nur außerhalb der Käseglocke getan werden kann. USB-Stick synchronisieren. Fertig. Bis auf die kleinen Überraschungen natürlich.

So läuft das Semester, wie schon die ganzen Semester vorher gerade in die Phase der Ununterscheidbarkeit. Vieles verschwimmt, vor- und rückblickend, bei aller Konzentration auf den Moment. Auch das tut mal gut.

In den ersten Wochen der Käseglocke bin ich kaum dazu gekommen, am Zettelstore zu bauen. Das klappte erst gestern mal für mehrere Stunden. Für relative Ablenkung sorgt auch die neue Zettelkastenrunde, 2nd season. Auch Selbsthilfegruppe Zettelkasten genannt. Ich freue mich schon auf Episode 5.

Schon länger geplant, nun endlich realisiert, darf ich ein Dienstpedelec nutzen. Als Flachlandgeborener gibt es hier für mich einige fiese Steigungen, bei denen mir nun die Segnungen der Chemie helfen. Nach knapp zwei Wochen Nutzung ist mir klar geworden, dass ein Pedelec kein eBike ist, also kein Fahrrad. Es ist auch kein eMofa. Das Fahren damit trainiert mehr als gedacht. Es mildert manche Härten ab. Viele Radfahrer nervt nicht das Bremsen, aber das dann notwendige Anfahren. Dieses Problem fällt mit einem Pedelec weg. Auf freier Strecke bin ich mit 25–30 km/h schneller unterwegs, bei mehr (Fuß-) Verkehr bin ich langsamer und aufmerksamer unterwegs als vorher mit dem Fahrrad. Das Fahren im Regen macht zwar immer noch keinen Spaß, ist aber erträglicher. Früher war ziemlich wenig alles besser.

Schon länger nutze ich auch andere technische Innovationen, welche den einen oder anderen Aspekt bereichern. Ein Ruderergometer, zum Beispiel. Seit einigen Monaten im Haushalt. Mal eben das Boot ausfalten und zu Wasser lassen, das macht man eher nicht. Aber in einer Pause im Home-Office eine kleine virtuelle Runde, das schon. Oder ein eWriter. Schreiben, synchronisieren (auch ohne Klaut), nutzen. Heinrich Kümmerle wartet dazu auf meinen Gast-Post. In diesem Blog mache ich keine bewusste Werbung für kommerzielle Produkte. Und auch mein Zettelstore gehört zu den technischen Annehmlichkeiten. Bei allem technischen Fortschritt sollte man die Organisation des eigenen Umfeld trotzdem nicht anderen überlassen

Mir ist klar, in welchen Kontexten ich mich dabei bewege. Ein Fahrrad benötigt weniger Ressourcen als ein Pedelec. Papier ist ein annehmbarer Ersatz für einen eWriter. Es muss auch nicht jede:r ein Ergometer besitzen, eine gemeinsame Nutzung wäre erstrebenswert. Dann hätte Heilbronn auch vernünftige Radwege, der Bildungsdisneyländcampus keinen Fokus auf Autos und sogar Duschen, ich wäre weniger vergesslich und man könnte sich auf die Eigenverantwortung der Menschen wie der Unternehmen verlassen.

Das tut der Freude keinen Abbruch, wenn im Kolloquium jemand endlich, nach langer langer Zeit, das höchstbewertete Kriterium berücksichtigt, und am konkreten Beispiel die Quellenarbeit in der eigenen Thesis darstellt. Oder wenn man in einer Vorlesung den positiven Effekt der Käseglocke bemerkt: die Studierenden hören zu, auch weil der Zugang zum Internet schwieriger geworden ist. Das lässt beinahe den Inhalt manch eines Projektstrukturplans aus einer anderen Veranstaltung vergessen.

Wer weiß, vielleicht überlegt sich die gefühlt andere Hälfte der Hochschulangehörigen einmal, die zweite Phase der Veränderung zu überwinden, um nicht immer Ausreden erfinden zu müssen. Aber da sind wir wieder bei der Eigenverantwortung.