Die lange Woche vom 26.9.22
Beginn der Vorlesungszeit. Endlich. Aber auch leider, irgendwie.
Endlich, weil man sich wieder mit Kollegen, Mitarbeitern, Studierenden fachlich austauschen kann und nicht nur alleine vor sich hin arbeitet. Was manche sich alles für den Sommer an gemeinsamen Aktivitäten vorgenommen haben, nun, das blieb meist ein Plan. Aber Urlaub muss ja auch mal sein, wenn auch jeder in einem anderen Zeitintervall.
Leider, weil alles wieder auf einen hereinstürzt. Dienstag, erste Lehrveranstaltung. Ein Raum für 70 Studierende. 76 Plätze sind besetzt. Und wenn man sich die Liste derjenigen ansieht, die in diesem Semester die Prüfung absolvieren sollten, dann darf man noch 97 dazu addieren. Für diese und andere Lehrveranstaltungen purzelten dann locker 80 Mails von Studierenden herein, von Wünschen nach Prüfungseinsicht, Zugang zu Onlinemagazinen, Thesisbetreuung, Kolloquiumsterminen, bis zur gewünschten, aber verspäteten Teilnahme am Agilen Studieren. Puh.
Immerhin war im Vorfeld klar, dass wir obige Lehrveranstaltung mit potentiell 173 Teilnehmern aufteilen. Nun muss noch ein Lehrbeauftragter gefunden werden. Andere Kollegen aus der Hochschule, welche die Veranstaltung übernehmen könnten, waren nicht zu finden. Dazu später mehr.
Diese erheblichen Zahlen an potentiellen Teilnehmern sind eine direkte Konsequenz der pandemiebasierten Freischussregel, die seit letztem Semester nicht mehr gilt. Nun hat das Nichtlernen eine Konsequenz. Betrifft auch viele andere Veranstaltungen, nicht nur von mir. Selbst die Betreuung einer Thesis wird nicht leichter, wenn sich das frühere durchschnittliche Zahlenverhältnis von 1:4 auf 1:8 oder mehr verändert. Letztes Semester lag es bei mir noch bei 1:1.
Die auf Basis des Agilen Studierens durchgeführte Veranstaltung „Einführung in das Projektmanagement“ war also gut besucht. Trotzdem haben wir Anwesenden diese vernünftig starten können. Einige Gruppen haben sogar schon mit dem Studieren begonnen. Unabhängig davon war die kommunizierte Motivation groß, wie üblich traditionell.
Danach am Dienstag das Seminar “IT-Systems“. Wieder mal auf Englisch. Mit dem Thema „IT-Systems or Healthcare“. Einige wenige haben schon schöne Probleme gefunden. Andere wenige haben wenigstens eine Mail (siehe oben!) mit potentiellen Problemen formuliert, manche sogar rechtzeitig. Viele warten wohl auf morgen. Die Studierenden sollen im ersten Schritt aus dem Themenbereich zu bearbeitende Problemstellungen finden. Diese müssen auch wissenschaftlich relevant sein. Hoffentlich kommen nicht zu viele Vorschläge mit den Buzzwords Blockchain, NFT oder AI/KI. Buzzword-getriebene Probleme lassen sich in einem Seminar so gut wie immer nur als extrem dünnes Wissensbrettchen bohrend bearbeiten.
Da mein Fahrrad noch inspiziert wurde, musste ich hiesige Busse für Rückfahrt nehmen. Erkenntnis: nichts hat sich (für mich) seit 3 Jahren verbessert. Pünktlichkeit ist Zufall, mithin auch die Möglichkeit zum zeitnahen Umsteigen.
Mittwoch. Softwaretechnik. Raum für 80 Studierende. Geschätzt mehr als 130 müssten in diesem Semester die Prüfung ablegen. 50 sind anwesend. Wie üblich in der ersten Woche gibt es Übersichtveranstaltungen, inklusive Orga. Positiv kam an, die Prüfung etwas weniger hart zu gestalten, als von der Studien- und Prüfungsordnung vorgesehen. Aber das muss noch der Prüfungsausschuss genehmigen.
Danach Projektstudie, 7. Semester. Ein Team arbeitet schon seit einem Monat daran, dessen Mitglieder wollte eher beginnen, um eher beenden zu können. Die anderen zwei Gruppen starten nun. Endlich mal etwas Routine, die Studierenden kennen sich, mich und den Studiengang ja schon.
Und so freute ich mich auf meine kleine Mittagspause. In dieser lernte ich meine neue Kollegin, die auch meine Bürokollegin ist, kennen. In diesem Sinne: Willkommen bei den WINnern, Julia Zielonka! Wir verquatschten uns und hätten beinahe die Dienstbesprechung verpasst.
Diese war von 14 bis 16 Uhr geplant. Wir hatten viel zu besprechen. Im Sommer ist einiges liegengeblieben. Siehe oben. Um 16.20 Uhr merkte ich die leichte Überziehung an. Die „Familienfreundliche Hochschule“ endet wohl erst um 17 Uhr. Um 17.30 Uhr fragte ich nach, ob ich zur Diskussion noch etwas beitragen könnte. Endlich konnte ich mein Fahrrad abholen. Waren ja auch nur knapp 10 Stunden, in denen ich ohne wirkliche Pause mental unterwegs war. Hoffentlich nur ein Einmaleffekt. Aber immerhin konnten wir einiges so besprechen, dass wir es nicht mehr besprechen müssen.
Diese Marathonsitzungen verstehe ich immer weniger. Besonders nicht, wenn sie die geplante Zeit um 75% überschreiten. Mir sind die Schwierigkeiten der Terminfindung klar. Um so wichtiger wäre dann, nun ja, ist ja alles bekannt.
Endlich kann ich wieder mit dem Fahrrad pendeln. Die Bewegung fehlte mir. Ist ja so auch im Bus nicht gewünscht. Obwohl, beim Händler meines geringsten Misstrauens fuhr ich ein eBike zur Probe. Eher eines für die Stadt als für Überlandfahrten. Eigentlich überflüssig, für geübte Fahrer mit ausreichender Gesundheit. Wenn man im Sommer am Arbeitsort etwas zum Duschen hätte. Wenn überhaupt vorhanden, dann wurden am Bildungdisneyländcampus zwar Parkplätze gebaut, irgendwohin auch Fahrradständer hindrapiert, aber den Gedanken der nachhaltigen Mobilität nicht zu Ende gedacht. Hauptsache Schwarz. Und deshalb trage ich mit dem Gedanken eines eBike. Lässt sich dank der riesigen Lieferprobleme eh nicht zeitnah umsetzen.
Zu Hause angekommen, standen riesige Kartons im Weg. Ah, das Ruderergometer wurde geliefert. Ein alter Wunsch, man gönnt sich ja sonst nichts. Erster Eindruck: weniger langweilig und viel sanfter als ein Fahrradergometer. Displays wirken Wunder. Zur Entspannung gleich mal eine Runde in Berlin gedreht.
Donnerstag. Projektstudie, 4. Semester. Immer etwas aufwändiger als die im 7. Semester. Die Studierenden glauben sich, mich und den Studiengang zu kennen. Drei Themen stehen zur Auswahl, eines ist gesetzt. Ein Kollege aus dem Nachbarstudiengang stellt sein Thema „Disjunktives Controlling“. Mit Erfolg für ihn. Ich verbasel die Zeit. Die Projektstudie soll eine halbe Stunde früher als üblich beginnen. Ich vergesse das, bin natürlich zu Beginn pünktlich und vergesse rechtzeitig zu beenden. Die Studierenden auch, sie stimmen nicht mit den Füßen ab. Ein gutes Zeichen.
Mittagspause fällt also so gut wie aus. Ich hetze mit der neuen Kollegin ins gemeinsam veranstaltete Kolloquium. Der Raum ist mit 50 bis 60 Studierenden gut gefüllt. Mal sehen, wie das mit der Terminabgabe funktioniert. Nicht dass alle einen Termin am Semesterende benötigen. Das wird nicht klappen.
Dank des vollen Raum sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ich jedem Teilnehmer die Regeln einzeln erklären muss. Interessant aber auch, wie freiwillige Leistungen hingenommen werden, und wie groß die Augen werden, wenn man mitteilt, was eigentlich die Anforderungen sind. Von den drei Abschlusspräsentationen fiel eine wegen extrem kurzfristiger Krankheit aus. So innerhalb von weniger als 90 Minuten. Aber wie heißt es so schön: „Ich bin zwar Doktor, aber kein Arzt.“
Tja und dann dachte ich, am Freitag hätte ich freie (sic!) Zeiteinteilung. Aber nicht nur Studierende werden kurzfristigst krank, auch Professoren. Und so fand ich mich Freitagvormittag in einer illustren Runde wieder, die im wesentlichen aus dem fast vollständigen Rektorat bestand. Ich, der nicht wirklich nach Ämtern strebt, vertrat in Personalunion eine Kommission (deren Mitglied ich bin), die Studiengangsleitung und für eine knappe Stunde die Fakultät (bis der Dekan kam; dazu gleich mehr). Aber alles lief gut. Zumindest in diesem Kreise fühlte ich mich als Kollege. Auch die anschließende Unterhaltung mit dem Dekan war kollegial. Nice.
Warum verspätete sich der Dekan? Ein Lehrbeauftragter für ein Planspiel war krank. In der gesamten Hochschule fand sich niemand, der das übernehmen wollte. Es lag mutmaßlich nicht am können, denn es gibt genügend geeignete Personen, aka „Kollegen“. Siehe die dienstägliche aufgeteilt geplante Lehrveranstaltung, zu der auch kein Kollege gefunden werden konnte. Projektmanagement, Planspiel. Da gibt es wirklich niemanden sonst an der Hochschule?
Im Nachgang bedankte sich der Kollege, der eigentlich an der illustren Runde teilnehmen wollte (er liest hier wohl mit), recht intensiv für mein kurzfristiges Einspringen. Für mich war das eine Selbstverständlichkeit, obwohl ich wohl der letzte der Mohikaner war: zwei Kollegen auf einer wiss. Konferenz, drei Kollegen krank. Meiner Antwort, das dies selbstverständlich sei, entgegnete er, es gäbe recht wenige ich mit meiner Einstellung.
Irgendwie ist das für mich beinahe und leider verständlich. Wenn Altruismus nicht explizit gefördert wird, dann machen das nur wenige (die es sich leisten können oder wollen). Der große Rest verkommt zu Egoisten, ob gewollt oder nicht. Dabei funktioniert das Leben nicht auf Basis von Zielvereinbarungen. Erst Altruismus, ob rational geplant oder instinktiv, führt dazu, dass die rauen Aspekte des Zusammenlebens weniger grob und rau sind. Altruismus als Schmiermittel für eine sonst heißlaufende und dann blockierende Gesellschaft. Für letzteres gibt es einige Staaten als negatives Vorbild.
Wenn ich am Ende einer diesmal längeren langen Woche solche Gedanken habe, dann war die Woche nicht zu schlimm. Damit kann ich wenigstens meinen eigenen digitalen Zettelkasten befüllen oder an ihm herumprogrammieren.
Die nächste Zettelkastenrunde findet am 19.10.22 um 18 Uhr statt.
Komplexit ist so etwas wie Kryptonit? Jeder Zettelkasten enthält blöde Kalauerzettel.