Prof. Dr. Detlef Stern

Nach 20 Minuten bin ich weg

Der berufliche oder ehrenamtliche Alltag ist bei vielen durch eine Reihe von Besprechungen geprägt. Manche Tätigkeiten, besonders die in leitender (leidender?) Position, scheinen nur aus Besprechungen, neudeutsch Meetings, zu bestehen. Um einmal Zeit ohne Besprechungen verbringen zu können, vereinbaren einige sogar Besprechungen mit sich selbst.

Das ganze Konstrukt wird fragil, wenn Besprechungen später als erwartet beginnen. Dann probieren einige, mein früheres Selbst eingeschlossen, die „verlorene Zeit aufzuholen“. Das klappt selten, da schon die Besprechungstermine selbst eng geplant sind. Besonders amüsant sind dann jene Zeitgenoss:inn:en, die selbst zu spät erscheinen und dann darauf bestehen, dass ihnen erst einmal der aktuelle Stand der Besprechung dargelegt wird. Mit dem Ergebnis, dass auch diese Besprechung zu spät endet, die nächsten noch später beginnen und die letzte Besprechung des Tages im Zweifelsfall tief im Überstundenzeitraum beginnt.

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Nach meiner Beobachtung sind Besprechungen sehr wahrscheinlich zu einer signifikanten Verspätung verurteilt, wenn mehr als ein Drittel der ursprünglich geplanten Zeit ungenutzt verstreicht. Das gilt selbst, wenn man Termine etwas großzügiger plant, mit kleinen Pausen zwischendurch. In den Zweidrittel der restlichen Zeit wird man das eigentliche Ziel der Besprechung tendenziell nicht erreichen.

Also sage ich solche verspäteten Besprechungen ab. Das gilt selbst für meine Sprechstundentermine, die meistens nur 14 Minuten dauern. Den so freien Resttermin kann man sinnvoller nutzen, als durch ein Gespräch zu hetzen, dass dann keines mehr ist, sondern ein Wettbewerb um den schnellsten Sprecher. Da hört keiner mehr hin, nicht einmal die Sprecherin selbst.

Das gilt auch umgekehrt: wenn ich mich um mehr als ein Drittel der geplanten Zeit verspäte, dann frage ich nach, ob der Besprechungstermin so noch sinnvoll stattfinden kann.

Warum lautet der Titel dieses Posts „Nach 20 Minuten bin ich weg“?

Für die Berechnung des Drittels verwende ich als Maximum eine Stunde, also maximal 20 Minuten. Bei jeder Besprechung sollte man nach einer Stunde eine kleine Pause einlegen. Sonst bespricht man sich nicht mehr effektiv. Die Pause muss sein, schon um sich selbst zu sammeln.

Ja, es gibt diese unseligen Marathonbesprechungen, wo nur das Sitzfleisch zählt. Da zählt auch nur die Anwesenheit, nicht das Argument, nicht die konstruktive Diskussion. Ich will dort nicht sein.

Natürlich gibt es, wie bei jeder Regel, auch Ausnahmen. Das müssen nicht nur Ober-schlägt-Unter-Spielchen sein. Letztens wollte ich mich mit einer potenziellen Auftraggeberin treffen. Ein mühselig verhandelter Termin. Der Chef-Chef sollte dabei sein. Genau der verspätete sich um 30 avisierte Minuten. Also sagte ich explizit ab. Der Kompromiss sah dann so aus, dass wir den ganzen Smalltalk zu Beginn einfach nicht machten und gleich zur Sache kamen.

Gegenbeispiel: bei einer früheren Sitzung kam der damalige Vorsitzende zu spät. Zuerst hieß es, dass es 20 Minuten sein sollten. Gut, wir warten. Dann 40 Minuten. Hmpf. Dann eine Stunde. Kurz darauf erschien er. Mit zwei Stunden Verspätung endete die Sitzung. Zum Glück war es keine Stehung. Und ja, der Vorsitzende hatte gewiss gute Gründe und viele andere hatten auch eine längere Anreise. Trotzdem ist mir auch dann ein Ende mit Schrecken lieber als ein Schrecken ohne Ende.

Zur letzten Fachbeiratssitzung wäre ich mit einer Verspätung von einer Stunde erschienen. Manchmal hat man noch einen Erstberuf. Ich habe dem Vorsitzenden rechtzeitig abgesagt. Ich hätte dann nichts Wesentliches mehr beitragen können, außer meiner reinen Anwesenheit.

Deshalb: nach einem Drittel der ungenutzten Besprechung bin ich weg, spätestens nach 20  Minuten.

Das Leben ist zu kurz, um in schlecht geplanten Besprechungen rumzusitzen und sich an den alten Keksen zu erfreuen.