Prof. Dr. Detlef Stern

Schwäbisches Kleinkind

Seit gestern kann sich der geneigte Kindle-Eigner auch in Deutschland Bücher aufs eigene Gerät laden. Irgendwie hatte ich dieses Ereignis erhofft, als ich mir vor etwas mehr als 2 Wochen einen in den USA bestellte. Aber auch ohne deutschen Kindle-Shop ist das Gerät eine Bereicherung gewesen. Mit dem Store steigt natürlich dessen Wert für mich.

Wieso ausgerechnet der Kindle? Andere Reader unterstützen das offene Format EPUB, der Kindle nicht. Dieser kennt an eBook-tauglichen Formaten nur Mobipocket und das DRM-Format AZW. Beide proprietär und unter Amazons Kontrolle. Ich stimme zu, dies war mein erster eigener Einwand gegen den Kindle. Inzwischen ist dieser Einwand aber nicht mehr so relevant für meine Bedürfnisse.

Mit einem eBook-Reader habe ich schon länger geliebäugelt. Besonders reizvoll ist es, einen ganzen Packen an Büchern in Form eines kleinen Geräts mitzunehmen. Das Haptische eines "echten" Buches geht dabei natürlich verloren. Dafür lassen sich Anmerkungen beliebig ins Buch integrieren, eine Suchfunktion ist ebenfalls sehr hilfreich. Für viele Texte ist ein eBook-Reader ein Gewinn. Ich kann ja trotzdem noch "echte" Bücher lesen, wenn ich es für angemessen halte.

Anfang des Jahres durfte ich für eine Woche ein iPad testen (noch die erste Generation). Schnell lernte ich dessen Begrenzungen. Das iPad mag ein tolles Gerät sein, aber der spiegelnde Bildschirm, das LCD-Display und das relativ hohe Gewicht (ca. 0,75 kg) erlauben kein längeres Lesevergnügen. Für ein lockeres Durchblättern kann es ausreichen. Ich bin aber eher selten in der Arztpraxis und muss mich dort auch nicht mit Blättern ablenken.

Nach einigen Recherchen (schön der Test in der c't) war mir klar, dass es de facto nur zwei wirklich vernünftige Geräte gibt. Zum einen den Kindle. Mehr noch favorisierte ich den Sony PRS-650. Beide besitzen ein Display mit E Ink Pearl-Technologie. Für die Augen nur das Beste! Alles andere ist dagegen Murks. Ich habe es in diversen Läden ausprobiert.

Gut fand ich beim Sony die einigermaßen vernünftige Bedienung. Mit Hilfe von seitlich eingebauten Infrarotsensoren ist ein touchscreen-artiges Bedienen gut möglich. Ein wenig hakelig zwar, aber um Welten besser, als sich tastengestützt durch Nokia-ähnliche Menüs zu hangeln. Offenbar der Standard bei den anderen Geräten.

Meine sehr geschätzte Stadtbibliothek verleiht eBook-Reader zum Testen. Ich bekam den kleinen Bruder, den PRS-350. Das Display misst nur 5 Zoll, besitzt aber die gleiche Auflösung (800x600) wie der PRS-650 oder der Kindle. Also vergleichbar, wenn auch nicht mein Wunschgerät.

So schön das Gerät, so schrecklich die mitgelieferte Software. Nur mit Müh und Not gelang es mir, ein DRM-geschütztes eBook der Stadtbibliothek auf dem Reader lesen zu können. Erst unter Windows funktionierte es teilweise so wie beschrieben. Nach einiger Zeit wollte die Software auch dort nicht mehr die Inhalte zwischen PC und Reader synchronisieren.

Zugegeben, im Vergleich zum iPad sollte sich der "Touch Screen" des Sony besser verstecken. Das Blättern und die meisten Aktionen auszuwählen funktioniert soweit gut. Aber mit dem Sony würde ich das Zeichnen besser lassen. Davon einmal abgesehen, dass ich die Zeichnung nicht auf meinen Mac synchronisiert bekomme.

Zu meinem Glück lief mir die Software Calibre über den Weg. Synchronisationsprobleme mit dem Sony gab es nicht mehr (bis auf die Zeichnungen). Mit Hilfe von Calibre können auch Webseiten automatisiert in ein eBook umgewandelt und auf den Reader kopiert werden. Klasse ist die Möglichkeit, die Wochenausgabe der ZEIT zeitgesteuert herunter zu laden. Einfach Benutzername und Passwort angeben, fertig. Super Funktionalität.

Nur mit DRM-geschützten Formaten kann Calibre nicht arbeiten. Aber wer möchte das schon? Ich glaube / hoffe, irgendwann wird auch bei (Buch-) Verlagen die Einsicht siegen. Sprich, in der Zwischenzeit kann es schon sein, dass ich Geld für die Nutzung eines Buches ausgebe und nicht, wie bei "echten" Büchern für deren Eigentum.

Der andere große Nachteil des Sony PRS-650 ist dessen (fehlende) Verfügbarkeit. Seit Anfang des Jahres offenbar ausverkauft, sollte dieser angeblich Ende Februar wieder verfügbar sein. Jetzt haben wir Ende April und noch immer steht auf der Webseite "Im Moment leider nicht lieferbar". Der Moment dauert jetzt schon lange an. (Der PRS-350 ist mir zu klein)

Nachdem ich von Sony keine Antwort bekam (möglicher Grund könnte ja die Katastrophe in Japan sein, auch wenn wenigstens das PRS-350 in China gefertigt wurde) beschäftigte ich mich dann doch mal mit dem Kindle. Preislich ist der Kindle 80 Euro günstiger als der Sony (ohne UMTS, hat der Sony auch nicht). Das Display ist, wie gesagt, das gleiche. Die Bedienung erfolgt über Tasten, nicht per "Touch screen". Was soll's, sagte ich mir. So viel mache ich damit nicht verkehrt. Ich lese viele Bücher lieber im klingonischen, äh, englischen Original. Hatte ich schon erwähnt, dass Calibre auch EPUB nach Mobipocket konvertieren kann? Also bestellte ich mir das Gerät bei Amazon USA.

Die Lieferung sollte innerhalb von 5 Tagen erfolgen, per UPS. International ist UPS sicher eines der leistungsfähigen Logistikunternehmen. Hier in Deutschland kann ich deren Lieferbedingungen nur schwer nachvollziehen. Ideal ist, wenn man den ganzen Tag zu Hause wäre. Nach dem ersten Lieferversuch am vierten Tag wechselte ich die Lieferadresse. Hochschule statt zu Hause. Mit geübtem Blick und einiger studentischer Hilfe (danke schön, #se1) konnte ich den UPS-Menschen gut abfangen. Endlich meins!

Der Kindle lässt sich trotz Tasten gut bedienen. Die Menüs sind kontextabhängig und gut sortiert. Für die wichtigsten Aktionen sind nur wenige Tastendrücke nötig. Einige Sondertasten unterstützen die schnelle Auswahl. Die Tasten zum Blättern eigenen sich auch für Linkshänder und liegen sehr ergonomisch. Der Kindle liegt sehr gut balanciert in der Hand.

Texte (z.B. Anmerkungen) sind schneller als mit dem Sony erfasst. Nur auf Umlaute muss ich verzichten. Amazon hat besser lesbare Schriftarten als Sony ausgewählt. Der Text sieht klarer aus. Schrifttechnisch: die Serifen sind nicht so ausgeprägt. Die Synchronisation via Calibe funktioniert ebenso gut. Ein wenig besser sogar, denn Calibre kann dem Kindle Bücher auch per Mail senden, Amazon's Whispernet sei dank.

Mit Hilfe des Whispernet überträgt Amazon eigentlich die frisch gekauften Bücher auf den Kindle. Aber auch andere können darüber Bücher übertragen. Dazu erhält jeder Besitzer eine eigene Email-Adresse. Absender müssen vorher autorisiert werden. Praktisch ist der Versand von ungelesenen Webseiten per Instapaper.

Zwei Dinge funktionieren allerdings nicht so wie gedacht. Erstens, das fehlende UMTS-Modul (ich habe den kleinen Kindle, der mit UMTS kostet 50 Euro mehr) lässt sich nicht durch Tethering ersetzen. Ebenso erlaubt das WLAN-Modul nicht das Einwählen in Unternehmensnetze. Dies ist für mich kein echter Nachteil. Dann kaufe ich Bücher nur zu Hause im heimischen WLAN. Verhindert Schnellkäufe ;-). Zweitens ist es in Deutschland (noch?) nicht möglich, Textstellen zur Twittern oder auf Facebook zu posten. Aktuell sehe ich dazu keinen Anwendungsfall.

Der Kindle verfügt über einen leidlichen Web-Browser, den man aber nur in Notfällen nutzen wird. Surfen macht mit dem langsamen E-Ink-Display wenig Spaß. Apropos langsam: das des Sony hat gefühlt doppelt so lange Umschaltzeiten. Über die Akkulaufzeit kann ich keine Angaben machen. Ich bin bisher nie unter 75% gekommen, beim Synchronisieren per USB lädt der Kindle automatisch auf.

Insgesamt bin ich mit dem Gerät sehr zufrieden. Mit dem deutschen Kindle-Shop wird sich das noch bessern. Die bisher von mir getesteten Leseproben gaben einen guten Eindruck über die Inhalte. Manche Bücher konnte ich dadurch von meinem Wunschzettel nehmen, andere erhielten eine höhere Priorität.

Das gedruckte Buch ist nicht tot, es ist aber nicht mehr die einzig gute Möglichkeit längere Texte in aller Ruhe zu lesen.

Jetzt müssen nur noch die deutschen Verlage zur Vernunft kommen. Aber das wäre ein eigener Blogpost.